O-Ton Exil Wolfgang Schwiedrziks "Edition Mnemosyne" "Es herrscht seit vielen Jahren ein allgemeiner Sprachverfall auf dem Theater" sagt Wolfgang Schwiedrzik. "Kein Mensch kann mehr richtig sprechen, kann die Klassiker so auf die Bühne bringen, daß sie noch wirken." Starke Worte, aber Wolfgang Schwiedrzik kennt sich aus im Metier. 1940 in Freystadt/ Schlesien geboren, studierte er Germanistik, Geschichte und Kunstgeschichte in Kiel, Wien und Berlin. Ab 1962 arbeitete er als Regisseur und Dramaturg mit Peter Stein zusammen an der berühmten Schaubühne am Halleschen Ufer. Politisches Theater hieß damals die Parole. Inzwischen bedauert Schwiedrzik diesen Ansatz und den großen Einfluß, den er und seine 68er-Mitstreiter gehabt haben. Man hatte sich gegegen das Pathos gewandt, das auf vielen Bühnen herrschte, "aber mit der Abschaffung des 'hohlen Pathos' hat man das Kind mit dem Bade ausgeschüttet." Pathos sei nur noch negativ verstanden worden. Vielleicht solle man besser von einem "hohen Ton" reden, einer Betonung der Sprache. Die sei doch wohl, meint Schwiedrzik, auf dem Theater immer noch das wichtigste, und nicht, wie heute üblich, das Körperliche, das Tänzerische, die Choreographie oder das Bühnenbild: "Da wird dann oft nur noch herumgehampelt." Bei modernen Stücken ginge das ja noch, aber bei Klassikern sei es unerträglich. Als einen Versuch, diesem auch eigenen Versagen etwas entgegenzusetzen, sieht Schwiedrzik seine Edition Mnemosyne, einen "Verlag für alte Hüte & neue Medien", wie er ihn kokett nennt. Nachdem Schwiedrzik jahrelang als Lektor, Buchhändler, Publizist und Dramaturg gearbeitet hat, gründete er 1999 in Neckargemünd den Verlag als Einmannbetrieb. Mnemosyne als Mutter der neun Musen und Göttin des Gedächtnisses war Namensgeberin, eine passende Wahl. Erinnerung ist Programm. Die Schwächung des deutschen Theaters nämlich setzte mit der Vertreibung der besten Künstler en viele, wenn nicht die meisten, waren Juden. Ein Großteil überlebte nicht, andere kehrten aus dem Exil nicht mehr zurück, und die wenigen, die es doch taten, hatten es nicht leicht im Land der Täter. Zum Glück gibt es noch historische Tonaufnahmen, die Schwiedrzik aus den Archiven ausgräbt und als Sonderedition unter dem Titel Vertriebene deutsch/jüdische Schauspieler herausgibt, als Hommage an die verjagten Sprachkünstler. Bisher sind drei Kassetten erschienen. Aufnahmen der Berliner Kabarettistin Annemarie Hase; Shakespeares König Lear mit Fritz Kortner in einer Produktion des WDR von 1958, und voriges Jahr Totentanz - Kabarett im KZ. Denn selbst in den KZs wurde noch Kabarett gemacht, bevor es ins Gas ging. Die Box ist eine multimediale Einheit von DVD (ein Film von Volker Kühn), Booklet und CD. Dokumentiert wird die Ermordung einer ganzen Kleinkunstelite: Fritz Grünbaum, Max Ehrlich, Lisl Frank, Kurt Gerron, Paul Morgan, Willy Rosen und viele andere. Zahlreiche historische Filmaufnahmen und zeitgenössische Interviews zeigen das Ausmaß des Humors und des Horrors. Zu sehen sind kommentierte Ausschnitte aus Der ewige Jude, Kabarett-Aufnahmen aus den Kzs, selbst auch Jazzer sind zu hören mit "entarteter Musik". Und Ausschnitte 'aus dem Film Der Führer schenkt den Juden eine Stadt, den Kurt Gerron in Theresienstadt machen mußte. Alle CDs der Edition Mnemosyne haben es bisher auf die Hörbuch-Bestenliste geschafft, König Lear wurde als "Hörbuch des Monats" und mit dem Vierteljahrespreis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet. Auch Totentanz wurde von der Kritik hochgelobt. Doch Schwierdrziks Verlag hat sich mit dieser aufwendigen Produktion finanziell verausgabt. Der Versuch, Sponsoren für das Projekt zu gewinnen schlug so gut wie fehl. Lediglich die BASF steuerte fünftausend Mark bei. Damit ist die Fortführung der CD-Edition "Vertriebene deutsch/jüdische Schauspieler" gefährdet. Ob die geplanten Aufnahmen mit Elisabeth Bergner, Tilla Durieux, Therese Giehse, Curt Bois, Ernst Deutsch, Kurt Gerron und Paul Graetz noch werden erscheinen können, ist, wenn sich kein Retter findet (oder viele Käufer der bereits erschienenen CDs), höchst ungewiß.
Georg Patzer, Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 30.8.2001 |
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